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Mein Erlebnis vom Bombenanschlag in Oslo 2011

Es ist der 22. Juli 2011 und ich bin als Komparse bei einem Filmprojekt von Filmstudenten im Osloer Regierungsviertel dabei. Das Team und die Komparsen sind alle sehr jung und wir drehen die Comedy-Serie «Sammen». Das Studio befindet sich im Keller des Gebäudes eine Straße vom Regierungsviertel, unter dem Breivik das Auto mit der Bombe parkt, entfernt. Wir sind gerade bei der abschließenden Szene, als wir von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen werden. Ich spüre eine Druckwelle und plötzlich riecht es nach Rauch. Wir sehen uns verwundert an- noch kann keiner diesen Knall und vor allem den veränderten Luftdruck einordnen. Was war das? Ist eine Sicherung im Haus ausgefallen? Die Feuermelder des Gebäudes beginnen zu schrillen und wir verlassen schnell das Haus. In dem Moment denke ich IM Haus ist etwas explodiert. Da wir unsere Schuhe und Taschen vorher in der Garderobe gelassen hatten, müssen wir jetzt barfuß auf die Straße. Es ist kalt und regnet. Die Feuermelder sämtlicher Häuser sind aktiviert. Die Fensterscheiben sind zerbrochen und die Straße übersät mit Glasscherben. Spätestens jetzt kommt mir das Ganze sehr komisch vor. Chaos, Verwirrung und Ahnungslosigkeit machen sich breit, aber noch keine Panik, da wir nicht verletzt sind und noch nicht wissen, was passiert war. Ich komme mir ein bisschen vor wie an einem Filmset. Als wir um die Ecke gehen zur Hauptstraße, die vor dem Regierungsgebäude verläuft, sehe ich schwer verletzte Menschen und eine verwüstete Straße. Neben mir steht eine stark blutende Frau mit Verletzungen an Arm und Kopf. Sie leidet unter einem Schock, zittert und weint. Eine zweite Frau drückt auf ihre blutende Wunde. Ich frage sie, ob der Krankenwagen schon gerufen wurde. Ja. Krankenwagen und Polizei wurden schon alarmiert. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis Polizei und Ambulanz eintreffen. Tote sah ich nicht, aber acht Menschen starben bei der Explosion. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keine Ahnung, was passiert war. An eine Bombe denkt zunächst niemand- so etwas passiert doch nicht im sicheren Norwegen. In diesen Minuten unmittelbar nach der Explosion sind wir alle auch noch ruhig und gucken uns verwundert um. Von Panik kann noch nicht die Rede sein. Ich denke es dauerte einfach einen Moment bis wir den Ernst der Lage verstanden. Auf einmal laufen alle hektisch die Straße hoch zur Olavskirche, die deutlich höher als das Regierungsgebäude liegt. Ich laufe verwirrt mit, obwohl ich nicht weiß, warum plötzlich eine solche Panik ausbricht. In der Hektik verstehe ich auch nicht alles, was (auf norwegisch) gesagt wird. Später fand ich heraus, dass wir evakuiert wurden. Die Polizei befürchtete weitere Bomben. Wir sammeln uns vor der Olavskirche und endlich erhält jemand die Nachricht auf seinem Smartphone, dass eine Autobombe explodiert ist. Meine Tasche mit meinem Handy ist noch im Filmstudio, in das ich nicht mehr darf, weil es im evakuierten Bereich ist. Alle telefonieren gleichzeitig und kurze Zeit später bricht das Funknetz zusammen. Die Busse fahren nicht mehr, da eine weitere Bombe befürchtet wird. Ich weiß nicht, wie ich von diesem Ort wegkommen soll, denn die Busse fahren nicht und ein Handy habe ich ja auch nicht. Die einzige Nummer, die ich zu dem Zeitpunkt auswendig weiß, war die meines Vaters in Regensburg. Also leihe ich mir ein Telefon und rufe ihn an. Nach mir wollen einige andere das gleiche Telefon benutzen, also muss ich mich kurz fassen. „Hallo Papa. Hier ist Isa. Hier ist eine Bombe explodiert, du musst Christian anrufen (mein Onkel in Oslo, bei dem ich wohnte). Er soll mich an der Olavskirche abholen.“ Papa: „Bist du verletzt?“ Ich:“Nein. Ich muss jetzt wieder auflegen.“ Zum Glück war mein Vater zu Hause, sonst hätte ich wohl sehr lange warten müssen. Ich wurde kurze Zeit später abgeholt. Erst am Abend erfuhr ich in den Nachrichten, dass auf Utøya noch viel mehr Menschen ums Leben kamen.

An diesem Tag ist mir bewusst geworden, wie schnell man selbst Opfer von einem Attentat werden kann und wie wenig wir uns davor schützen können. Wer rechnet schon damit, dass in Oslo eine Bombe hochgeht? Geschweige denn damit, was später auf Utøya passierte. In den Tagen nach dem Anschlag war Norwegen in einem Ausnahmezustand. Ich hielt es nicht aus, die Nachrichten zu sehen: Immer neue Opfer wurden gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Folgenden Satz habe ich mittlerweile sehr oft gehört: „Was wäre wenn du näher an der Bombe gewesen wärst? Denkst du da manchmal drüber nach?“ Ich bin einfach froh, dass ich solches Glück hatte und zum Zeitpunkt der Explosion im Keller war. Aber durch dieses Erlebnis kommen mir die Ereignisse in der Ost-Ukraine, Syrien oder dem Gazastreifen nicht mehr so abstrakt vor. Ich betrachte die Nachrichten heute nicht mehr mit dieser Distanz à la so etwas passiert nur dort, nicht hier bei uns. Es kann jederzeit überall passieren. Und jetzt ist das Thema leider wieder aktuell in Norwegen. Die Polizei ist einsatzbereit.

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